Rechtsbegründung

 

Man kann nichts begründen, wenn man nicht weiß, was zu begründen ist und inwiefern es einer Begründung bedarf.

Ein zureichender Begriff des zu Begründenden scheint als Wissen, was es ist und worum es geht, vorausgesetzt. Dann aber darf diese Voraussetzung nicht willkürlich festgelegt sein, die Bestimmung des Begriffs nicht eigenmächtig gesetzt und nach ihm fremdem Zweck und Maß gewählt werden. Was zu begründen ist, muß aus seinem Erkennbarwerden die Art und Weise des erforderten Begründens entscheiden und der Ansatz sich als Vorgriff aus der Durchführung rechtfertigen können. Die Vernunft hat durch den Anspruch des Auschlusses von Willkür in der übernommenen Aufgabenstellung der Begründung an einer Grundbestimmung von Rechtsgeltung selbst teil.

Die hier vorgelegte Skizze zur Begründung des Rechts zeigt, dass sie nur in Verschränkung mit der Arbeit der Bestimmung ihres Begriffs möglich ist. Der Begriff des Rechts hat eine maßgebliche Bedeutung in der Grundlegung von Rechtsordnung, den Kriterien der Gesetzgebung und der rechtsprechenden Beurteilung, was rechtens ist. Er übt darin keine oberbegriffliche Funktion aus, hat keine Umfangsfunktion für Rechte. Die für die Grundlegung von Rechtsgeltung in einer Rechtsordnung entscheidende Maßbedeutung wird in Bestimmungsversuchen des Bezugs auf geltende Rechtsnormen verfehlt. Der Rechtsbegriff ist darin bereits in einen empirisch positiven Gebrauch genommen – und könnte in dieser beschreibenden Funktion nicht mehr als das zu Begründende in die Geltungsverantwortung genommen sein, noch selbst Grund tragen.

Der Wertbegriff hingegen umfängt eine Vielheit von Werten und wird scheinbar problemlos als Oberbegriff gebraucht; er kann existierende Werte (Wertgeltungen) bezeichnen und vorhandene Werthaltungen für soziologische Untersuchungen oder politische Inanspruchnahme beschreiben. Er bezeichnet zwar das, was in einer Wertung die Vorzugsentscheidung leitet, gibt aber selbst keinen hinreichenden Grund für die Entscheidung an. Das wäre erst durch eine Werteordnung möglich, die nach mehr oder weniger starken, gegeneinander gewichteten Werten, also quantitativ sich unterscheidend gestuft sein müsste und in dieser Ordnungsform mit weiteren Bestimmungsgründen als dem Wert selbst als geltend angenommen wären. Solche entscheidungsbedingenden Ordnungsbestimmungen anzugeben und zu rechtfertigen wird durch den allgemeinbegrifflichen Gebrauch von „den Werten“ aber gerade vermieden.

Die implizit unvermeidliche Voraussetzung einer kulturell in Geltung gehaltenen Werteordnung trägt damit aber einen Widerstreit in die Anwendungsbestimmung des Wertbegriffs (in seinem empirischen, entscheidungsbestimmenden Gebrauch) ein, da das, was Wert sein soll, für die Minderwerte in der Stufung gegen die höherrangigen einen Nichtwert oder Unwert einschließt. Dann aber kann der Wertbegriff nicht widerspruchsfrei so bestimmt werden, daß er als Oberbegriff eine Begriffseinheit wahrt: es werden heterogene, verschiedene Maß- und Kriterienbestimmungen einschließende Begriffsinhalte zusammengefasst, die keine kohärente Begründung und keine zusammenstimmende Begriffsbestimmung ermöglichen. Zentralen Argumente haben Nikolai Hartmann, dann Carl Schmitt zur 'Tyrannei der Werte' geliefert. Auch Max Weber hatte erkannt, „dass die Wertungen in den Gesellschaften zu Konflikten führen, die durch Wertentscheidungen nicht lösbar sind. (...) Das Recht und die Grundrechte erhalten dann eine Befriedungsfunktion für Wertkonflikte und es ist damit ausgeschlossen, dass Werte ihrerseits Recht und die Grundrechte begründen und bestimmen könnten.“ (Linnemann, UniPress Bern 2007) Unausgewiesen kommen im Vorzugsdenken nach Werten Kriterien des Stärkeren und Schwächeren zur Geltung (wie in der Eroberung von Marktanteilen und Marktbeherrschung), denen Werte der Solidarität für die Schwächeren (im Sozialstaat) entgegenstehen, aber nur zu Verteilungskämpfen, nicht zur Vereinheitlichung allgemein maßgeblicher Kriterien von Gerechtigkeit und Recht führen, da eine Bestimmung von Gerechtigkeit als „Recht des Stärkeren“ in sich widerstreitvoll und mit den Hilfs- und Kooperationspflichten (Solidarität) in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft und des Zusammenhalts als Rechtsgemeinschaft nicht vereinbar ist. Die Allgemeingeltung des Rechts als Maß ist aber schon von der Aufgabe einer Verfassungsgesetzgebung her zu wahren verpflichtend, wie für die Struktur ihrer Begründung zu zeigen ist.1

Ernst-Wolfang Böckenförde hat die Zirkularität im Verhältnis von Wert und Vorzugsentscheidung für die subjektive Wertauffassung aufgezeigt, der eine anzunehmende objektive Wertordnung nicht abhelfen kann. Für eine Begründung von Recht und Rechtsordnung, wie sie durch Verfassungsgesetzgebung errichtet wird, und wie sie die Achtung und Anerkennung von allen Menschen zuzuerkennenden Grundrechten für das Seinkönnen als Person erfordert, taugt die Berufung auf (faktisch geltend gemachte) Werte nicht. Die Kritik der Wertbegründungsversuche des Rechts zeigt die Aporien im Gedanken an die Konstruktion von Wertordnungen auf, die in ihrer Hierarchie ein gegenseitiges Entwerten zeitigen und zu einem Kampf von Werten führt, der nicht wiederum durch Werte befriedet werden kann. Recht und Rechtsordnung haben die Aufgabe Frieden zu stiften, Gemeinschaft von Handelnden (und Behandelten) im Zusammenleben zu ermöglichen.

Böckenförde schließt seine Abhandlung mit einem nüchternen Resümee und einer Aufgabenstellung an die Vernunft: „Die unabweisbare, im Recht selbst angelegte Frage nach dem (metapositiven) Grund und Maß des Rechts kann also nicht durch Rückgriff auf Werte und den Wertbegriff zureichend beantwortet werden. Sie bedarf, soll sie tragfähig sein, einer anderen Antwort.“2 Wir versuchen im Folgenden, diesen Anspruch aufnehmend einen Antwortweg aufzuzeigen, der zugleich die sichernde begriffliche Grundlage einer Kritik an den Versuchen zur Wertbegründung von Recht darstellt.

1Die mit den Gerechtigkeitspflichten sich verbindenden Wahrheitsbedingung des Seinkönnens von Freiheit in Anerkennung als Recht, in die die hier vorgelegte Begriffsbestimmung in Begründung von Recht mündet, sind bereits im Verhältnis von Gerechtigkeit und Wahrheit als Bedingungen zur Bewerkstelligung von Freiheit in Platons Politeia thematisch. Diese lassen sich jedoch nur in einer die Widerstreite der in häuslichem Gesprächskreis einbildnerisch unternommenen Verfassungsgesetzgebung, den Ort des Staatsbegründungsanliegens für die Erörterung von Recht und Gerechtigkeit selbst berücksichtigend, darstellen und einsehen.

2Ernst-Wolfang Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: Reinhard Löw (Hrsg.), OIKEOSIS, Festschrift für Robert Spaemann, Weinheim 1987; erweitert in: Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt/Main 1991, S. 67-91

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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